Samstag, 15. November 2008

Why does it always rain on me?

Nie hat ein Lied meine Gedanken so sehr wiedergespiegelt, als jenes von der wunderbaren Band Travis. Es spielte vor nicht allzu lange Zeit genau in dem Moment, als ich Famila betrat. Es spielte noch immer, als ich den Laden wieder verließ. Und es passte so unglaublich gut zur Situation, dass ich mir ernsthaft Gedanken darüber machte, ob mich irgendeine höhere Macht verarschen wollte.

Vorweg: Ja, das Wetter in Kiel ist wieder einmal unter aller Sau. Es stürmt, es regnet (ach, nein, wirklich?!), es ist kalt, es ist eklig. Nie verabscheue ich die Tage in Kiel mehr, als bei so einem Wetter. Und ich erwähne dazu, dass ich Kiel als Stadt und derzeitigen Wohnsitz absolut toll finde - nur eben nicht, wenn das Wetter so schrecklich beschissen ist wie momentan.

Das typische Novemberwetter, ja, es kommt alle Jahre wieder - und trotzdem hängt es mir jetzt schon wieder zum Hals heraus. Der goldene Herbst ist längst vorbei - wie sollen sich die schönen bunten Blätter auch an den Bäumen halten, bei diesem Sturm? Ich würde sie ja alle einzeln mit Uhukleber wieder ankleben, aber soviel Zeit habe ich dann nun doch nicht. Das sind eben Urgewalten, gegen die ich als bedeutungsloser Mensch nichts ausrichten kann. Ich muss mich einfach damit abfinden, so schwer es mir auch fällt. Ich weiß ja, dass ich da draußen nicht alleine bin mit meinen Beschwerden.

Alleine fühle ich mich momentan wegen einer anderen Sache. Denn nein, das blöde Wetter ist nicht der einzige Grund, warum ich mit dem Travis-Lied indentifiziere. Das Wetter ist ein Problem, das wir alle haben. Ich hingegen habe gerade mein eigenes:

Mein Auto liegt im Koma.

Ja, so kann man das ausdrücken. Der kleine Kirk, mein Ein und Alles, ist klinisch tot. Er fährt nicht mehr. Sein Herz ist zu schwach. Nein, nicht einmal zu schwach. Es ist tot. Weniger metaphorisch ausgedrückt: Der Motor springt nicht an, die Batterie ist mehr als nur leer oder anderweitig kaputt.

Gestern, verabredet zum Mensaessen mit Freunden, gehe ich zu ihm, um ihn wieder mal ein wenig hin und her zu bewegen. Ich setze mich hinters Steuer, schnalle mich an, drehe den Schlüssel im Zündschloss und warte, dass die gelbe Airbag-Lampe erlischt. Sie tut es, ich schalte das Licht an, mache das Radio etwas lauter, trete die Kupplung und drehe den Zündschlüssel noch einmal. Plötzlich flackern alle erdenklichen Lichter auf und alles, was ich höre, ist ein ominöses, ratterndes "Klack.Klack.Klack." anstelle des üblichen Röhren des anspringenden Motors. Ich stutze, versuche es noch einmal. Wieder nur das blöde Klacken. Mittlerweile merke ich, dass es auch mein Radio entschärft hat. Dieses - wie üblich, wenn es vom Strom genommen wird - bittet mich, den Keycode einzugeben, um es wieder funktionstüchtig zu machen. Doch das registriere ich alles erst viel später. Ich versuche es ein drittes Mal, aller guten Dinge sind drei. Doch die Hoffnung schwindet.

Klack.Klack.Klack.

Ein seltsames Geräusch, das den klinischen Tod meines geliebten Autos untermalt.
Da ich nebenbei auch noch im Hinterkopf habe, dass ich in zehn Minuten an der Mensa verabredet bin, drehe ich den Schlüssel zurück und ziehe ihn aus dem Schloss. Ein paar Minuten verstreichen, ehe ich den Bus in einiger Entfernung erkenne. Als ich aus dem Auto stieg, wie in Gedanken abschloss und schließlich auf den an der gegenüber liegenden Haltestelle haltenden Bus zuhetzte, wusste ich, dass ich komplett neben mir stand. Ein einziger Gedanke huschte durch meinen Kopf.

Mein Kleiner springt nicht an.

Noch unter Schock stehend, schreibe ich eine SMS, dass ich etwas später kommen würde. Die rationale Begründung spiegelt den einzigen Gedanken in meinem Kopf wieder. Irgendwie schaffe ich es mit nur fünf Minuten Verspätung zur Mensa, durch den Regen, mindestens einen Kilometer zurücklegend, da ich den falschen Bus genommen hatte. Irgendwie war ich dann da, durchnässt, wörtlich vom Winde verweht. Und der einzige Gedanke blieb in meinem Kopf. Ich teilte mich meinen Freunden mit, lernte, den Gedanken in die hinterste Ecke meines Schädels zu verbannen. Sie gaben mir Tipps, gutgemeinte, es half nichts. Ich wusste nicht weiter. Also versuchte ich zu verdrängen. Den ganzen Tag, bis ich spätabends wieder mit dem Bus nach Hause fuhr und dabei an meinem Auto vorbei kam.

Es ging nicht anders, ich musste mich noch einmal von seiner Gesundheit (seiner Krankheit) überzeugen. Ich schloss die Tür auf, setzte mich hinein und steckte den Schlüssel ins Schloss. Ich wartete eine geschlagene Minute, ehe ich die Kupplung trat und den Motor zu starten versuchte.

Für den Bruchteil einer Sekunde jaulte er auf und gab mir Hoffnung. Er klang fast normal - doch dann...

Klack.Klack.Klack.

Ich war sehr froh über die mich umgebende Dunkelheit in diesem Moment. Denn es ging plötzlich gar nichts mehr. Es war wie in einem Film. Draußen tröpfelten Regentropfen auf die Windschutzscheibe. Zusammen mit den Schlieren am Fenster gönnte ich mir einen Moment der Trauer. Man möge mich für über-sensibel, komplett gestört oder depressiv halten. Alles was ich in diesem Moment wahrnahm, war die bröckelnde Fassade meiner Unabhängigkeit. Der Freiheit, die ich so sehr schätzte. Mit dem Herztod meines Autos fiel ein Teil meiner Selbst ins Koma.

Denn nein, mein Auto, mein über alles geliebter Kirk, ist so viel mehr als ein bloßes Stück Blech. Ich habe zu viel mit ihm durchgemacht, als dass ich ihn jemals als solches betiteln würde. Er ist nicht nur eine Möglichkeit, von A nach B zu kommen, er ist ein Stück Freiheit. Ebenso ist er ein Stück Heimat, das ich mit mir nach Kiel genommen hatte. Dass er mich gerade hier, gerade jetzt allein lassen muss, brach mir das Herz. Meine Welt stürzte in dem Moment ein wenig in sich zusammen.

Man möge das alles für extrem-melodramatisch halten, aber ich meine es Ernst. Für mich ist mein kleiner roter Fiesta mehr als nur ein Auto. Seit vier Jahren fahre ich mit ihm, seit vier Jahren waren wir so gut wie unzertrennlich. Für mich war er der Inbegriff von Freiheit. Und das ist er heute auch noch, ich sollte wirklich nicht von ihm in der Vergangenheit reden. Er lebt noch, er braucht nur ein neues Herz, das zu bekommen, meine nächste Aufgabe ist. Denn im Grunde sehe ich das Ganze wieder viel zu tragisch, das sehe ich ja ein. Er ist eine Maschine und Maschinen brauchen ab und zu Ersatzteile. Maschinen kann man reparieren. Hoffentlich.

Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn machen sollte. Ich brauche meinen kleinen Roten.

Und so kommen wir zurück zum Anfang. Why does it always rain on me? Ich weiß es nicht. Ich wusste es nicht, als ich heute vormittag abermals zu ihm gegangen bin, um abermals zu testen, ob er nicht vielleicht doch nur einen kurzzeitigen Schnupfen hatte. Hatte er nicht. Das Klack.Klack.Klack. war auch heute alles was ich hörte. Zumindest konnte ich das Radio dank Keycode wieder in Gang bringen. Aber was nützt mir ein Auto, das ein funktionstüchtiges Radio hat, sich aber nicht vom Fleck bewegt?

Mit dieser Frage stapfte ich durch den Regen und erledigte zu Fuß, was ich sonst in seiner Gegenwart hatte tun wollen. Der Sturm zerrte an meinem Regenschirm und ich fragte mich unweigerlich, wozu ich einen Regenschirm mit hatte, wenn ich nichtsdestotrotz durchnässt wurde. Zombieartig erledigte ich meine Einkäufe und musste immer wieder an meinen armen Kleinen denken. Es war der Regen, der Sturm und die Tatsache, dass ich vor dem leergeräumten Aldi an der Hohenrade stand und mich fragte, wieso die blöden Leute diesen Laden einfach ohne Vorwahnung schließen musste, als ich wusste, dass der heutige Tag ein Scheißtag war. Dann betrat ich den ebenfalls bald schließenden Famila und hörte Travis.

Und da wusste ich:
there's only one thing left to do: get wasted!
Auf einen feuchtfröhlichen Samstagabend!